In unserer Gesellschaft gilt die Meinungsfreiheit als extrem hohes Gut. Jeder darf nicht nur seine eigene Meinung haben, nein er darf sie auch noch öffentlich äußern. Warum diese Freiheit überhaupt existiert, was ihr Sinn ist und worin ihr Nutzen besteht, darüber redet aber niemand und es existiert auch keinerlei Bewusstsein dafür.
Über die angeblichen Grenzen der Meinungsfreiheit wird diskutiert, aber nicht darüber warum das Ganze überhaupt einen Wert darstellt. Ich behaupte nämlich, dass deine Meinungsfreiheit in vielfacher Hinsicht genauso wertlos ist wie deine Meinung selbst.
Zunächst einmal sind die meisten Meinungen gar keine Meinungen, sondern Anderungen. Sie kommen nicht aus dem Inneren, sondern werden von anderen ins eigene Bewusstsein getragen. Und selbst die Meinungen die aus dem Inneren kommen sind oft wertlos, weil sie sowieso keine Auswirkungen haben, ja von unqualifizierten Individuen geäußert werden über Themen von denen sie keine Ahnung und, schlimmer noch, auf die sie vor allem keinen Einfluss haben.
Meine Meinung zum Thema Fußball interessiert niemanden und das nicht nur weil ich davon keine Ahnung habe, sondern auch weil ich in dieses Themenfeld in keiner Weise investiert bin. Ich kann mich zwar dazu äußern aber es verpufft wie ein Darmwind an der frischen Luft.
Und deswegen fordere ich den Leser auf mal zu hinterfragen zu welchen Themen er sich überhaupt eine Meinung bilden sollte. Anstatt Meinungsbildung als unbewusstes Verdauungsgeschehen externer Informationen zu leben fordere ich mir viel mehr dazu auf dies in Zukunft als bewussten Akt zu praktizieren, dessen Nutzen und Wirkung hinterfragt wird.
Als nächstes sollte man prüfen ob man seine Meinung auch äußern oder nicht lieber mal für sich behalten sollte. Dabei geht es nicht um die Gefühlswelt der anderen oder um irgendwelche Moralismen, die man verletzen könnte, sondern um die Wirkung auf das eigene Innere. Traumatherapie besteht darin Menschen über ihre schlechten Gefühle reden zu lassen, ihnen Raum zu geben. Dadurch werden die Gefühle verarbeitet und von innen nach außen getragen. Das geschieht im Prinzip mit allem.
Wer über Sachen redet oder schreibt, der lässt sie los. Wer Dinge liest oder hört, der nimmt sie in sich auf.
Wenn du also deiner bewusst geformten Meinung ständig Raum im Außen gibst, dann löst sie sich mit der Zeit genauso auf wie Traumata in der Psychotherapie. Und deswegen gibt es Meinungsfreiheit. Du sollst gefährliche Gedanken zu deiner Meinung erklären und diese dann ins Internet, oder wohin auch immer, blasen damit sie dort verpuffen können.
Es ist das Stammtischgepolter von Leuten die am nächsten Montag doch wieder ihren Platz als Rädchen im System einnehmen, brav Steuern zahlen und dafür jetzt endlich mal wertgeschätzt werden wollen.
Meinungsfreiheit als Ablassventil für unzufriedene Heloten.
Alternativ könnte man seine eigene Sicht der Dinge auch einfach mal für sich behalten und im Inneren reifen lassen. So lange bis sich im Außen ein Raum ergibt in der sich die eigene Meinung in Form von konkreten Projekten und Vorhaben materialisieren kann. Alles andere ist wertloses Geschwätz und sollte auch so benannt werden.
Freiheit bedeutet auch immer Verantwortung. Zeit sich der Verantwortung für die eigene Meinung und Meinungsäußerung bewusst zu werden!
Dieser Beitrag ist zuerst im Sonnenwolf Nr.147 erschienen.